Nachdem in den Außenbezirken der Evangelischen St.-Andreas-Gemeinde eine rasante Entwicklung der Bevölkerung stattfand, plante die Gemeinde im Jahr 1900 einen Kirchenneubau und eine entsprechende Gemeindegründung am Rudolfplatz. Nach dem Entwurf des Architekten Kröger wurde die Kirche gebaut und schließlich am 9. Februar 1908 eingeweiht, nachdem 1905 nach längerem Hin und Her zwischen der Kirchenbehörde, dem Kaiserhaus und der Gemeinde die Entscheidung gefallen war, die Kirche nach dem Schweizer Reformator Huldreich Zwingli zu benennen. Über der Kirche mit ihren 1200 Sitzplätzen erhebt sich der schlanke Turm in eine Höhe von 76 Metern. Im Innern weist die Kirche in ihrer Ornamentik Übergänge zum Jugendstil auf. Marmorne Standbilder von Gustav Adolf, nach dem ursprünglich die Kirche benannt werden sollte, und von Kurfürst Joachim II., der die Reformation in Brandenburg einführte, rahmen den Altarraum ein. Über der Straßenecke am Eingang steht ein bronzenes Abbild des Reformators Zwingli. In der Kirche wurde eine Orgel aus der Werkstatt des Orgelbauers Dinse installiert, die auch heute noch ihre Töne erklingen lässt. Neben der Kirche erbaute die Gemeinde 1927 ihr Gemeindehaus. Von 1982 bis 1993 war die Kirche als Archiv an die Staatsbibliothek verpachtet. Dann erhielt die Gemeinde die Kirche zurück.

Nach einer längeren Phase, in der ihre Zukunft ungewiss war, gehört die Zwinglikirche heute wieder fest ins Bewusstsein der Kirchengemeinde. Fast alle großen Feste des Kirchenjahres (Weihnachten, Ostern, Konfirmationen, Erntedank) werden hier gottesdienstlich begangen, es gibt wieder Taufen und Trauungen. Auch der Projektchor der Kirchengemeinde gibt hier wieder Konzerte. Die Zwinglikirche ist und bleibt eine Kirche – mit Zusatznutzung.

 

In der Ausgabe Ausgabe 29 vom 20. Juli 2014 wurde in der Zeitung „Die Kirche“ folgender Artikel von Maria Deiters zur Zwinglikirche veröffentlicht. Wir danken für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf unserer Seite:

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(c) M. Deiters

Kunst, Kirche und Geschichte

Was ist kirchliches Kunstgut? Welche Geschichten verbergen sich hinter den Dingen in unseren Kirchen – den spektakulären und den unauffälligen? Aber auch: Welche Chancen und Probleme bringt ihre Erhaltung mit sich. Diesen Fragen nähert sich nun monatlich eine Serie, die – anhand jeweils eines Kunstwerkes – aus der Praxis des landeskirchlichen Kunstguterfassungsprojektes berichtet.

Ist eine Glühlampe ein Kulturgut? Auf diese Frage erhält man besondere Antworten, wenn man die Berliner Zwinglikirche betritt.

Die Zwinglikirche steht im Zentrum des sog. Rudolfkietzes im Friedrichshain, im Zwickel zwischen der Hochbahntrasse der U1, der Stralauer Allee und der Stadtbahn. Unmittelbar am Rudolfplatz gelegen, bildet sie mit ihrem hohen Turm eine städtebauliche Dominante in dem Kiez, dessen Wohnbebauung ungefähr gleichzeitig entstand. Sie wurde zwischen 1906 und 1909 als Teil des von Kaiserin Auguste Viktoria geförderten Kirchenbauprogramms von dem kaiserlichen Baurat Jürgen Kröger errichtet. Maßgeblich beteiligt waren wohlhabende Bürger aus dem Viertel. Sie stifteten große Teile der Ausstattung, die wie die repräsentative Fassade, der weite hohe Raum und das reiche Sandsteindekor Repräsentativität und gleichzeitig einen gewissen Konservativismus ausstrahlt. In einem höchst überraschenden Kontrast dazu steht die Beleuchtung mit hunderten von – unverkleideten – Glühlampen. Sie hängen tropfenartig vor Blattornamenten an den Emporen, ziehen sich als dichte Reihe um Brüstungen und Schlusssteine.

Die Quellen zur Baugeschichte der Zwinglikirche geben eine Erklärung, denn zum Kreis der Stifter der Ausstattung gehörte die sogenannte Auergesellschaft. Mit der 1906 unter dem Titel Osramlampe patentierten Wolframfadenglühlampe gelang ihr ein Durchbruch in der Glühlampentechnologie. Im selben Jahr wurde das große neue Glühlampenwerk vor dem Stralauer Tor gebaut und ebenfalls 1906 wurde in unmittelbarer Nachbarschaft dazu der Grundstein für die Zwinglikirche gelegt. Die Zwinglikirche war die erste voll elektrisch beleuchtete Kirche Berlins. Dies war ein genialer Werbestreich der Auergesellschaft in einer Zeit, in der sich die junge Technologie der elektrischen Beleuchtung erst gegen großes Misstrauen durchsetzen musste. Überzeugend war diese Werbeidee auch deshalb, weil sich die Kirchenausstattung im besonderen Maße mit dem Symbolgehalt von Licht und Elektrizität verknüpfte.

Mit dem immateriellen und dennoch wahrnehmbaren, lebensspendenden Licht verbinden sich im Christentum, wie auch vielen anderen Religionen, Gottesvorstellungen. So wurde auch in den Werbeplakaten der Zeit um 1900 die Elektrizität als ‚göttlicher Funken‘ und ‚Himmelslicht‘ ja selbst als Göttin dargestellt. Wegen der Verbindung von Licht und Göttlichkeit spielt die Beleuchtung – sei es durch Fenster, sei es durch Kerzen – zugleich eine traditionell wichtige Rolle im Kirchenbau.

Eine Lichterfülle wie wir sie in der Zwinglikirche nach der jüngst erfolgten Restaurierung, während derer auch ein wichtiger Teil der Glühlampenbeleuchtung wieder hergestellt wurde, wieder nachvollziehen können, war also einem Kirchenraum sehr gemäß. Sie unterstützte seine sakrale Aura. Lichtreichtum bedeutete zugleich in den Zeiten der beginnenden Elektrifizierung, in denen Leuchten sehr teuer waren, eine hohe Auszeichnung und Modernität. Mit den Glühlampen in der Zwinglikirche, deren Architektur und Ausstattung sonst historistisch geprägt sind, konnten die kaiserlichen und bürgerlichen Initiatoren des Kirchenbaus also zweierlei demonstrieren: eine Verankerung in der Vergangenheit und eine Ausrichtung auf die Zukunft, eine Haltung die typisch ist für das kaiserzeitliche Berlin. Heute halten die Glühlampen in der Zwinglikirche nach der Auflösung des OSRAM-, späteren NARVA-Werks auch die Erinnerung an das ‚Glühlampenviertel‘ Rudolfkietz fest und erzählen von der Bedeutung Berlins als „Elektropolis“ in der Zeit um 1900. So löst sich die anfangs beim Anblick der ‚nackten‘ Glühlampen empfundene Irritation auf. Im Gegenteil erkennen wir sie als Schlüsselstück innerhalb der Gesamtausstattung der Zwinglikirche und als Kulturgut mit vielen Botschaften.

Informationen:

Ev. Kirchengemeinde Boxhagen-Stralau

030-291 0967, www.boxhagen-stralau.de

sowie: www.kulturraum-zwinglikirche.de

Inventarisierung des kirchlichen Kunstguts der EKBO: http://www.kirchenbau.ekbo.de/1078644/